Hochschul-Bildungs-Report 2020: Zwischenbilanz Hochschulbildung in Deutschland

Hochschul-Bildungs-Report 2020: Zwischenbilanz Hochschulbildung in Deutschland
In welchen Bereichen der Hochschulbildung finden sich Probleme, und wo sind gute Entwicklungen zu verzeichnen? Die Ergebnisse der Zwischenbilanz sowie Infos zum Schwerpunktthema „Chancengerechte Bildung“ findest du hier.

Was ist der Hochschul-Bildungs-Report?

Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 ist die zentrale Publikation der Bildungsinitiative „Zukunft machen“, welche zusammen mit dem Stifterverband der Deutschen Wirtschaft und der Unternehmensberatung McKinsey&Company ins Leben gerufen wurde. Dabei soll die Hochschulbildung in Deutschland von 2010 bis 2020 unter verschiedenen Gesichtspunkten unter die Lupe genommen werden. Der Hochschul Bildungs Report 2020 setzt sich laut eigenen Aussagen zum Ziel, langfristig den Bedarf an akademischen Nachwuchs zu decken, mehr Diversität und Durchlässigkeit im Bildungssystem zu schaffen und die Hochschulbildung besser an die Bedürfnisse von Studierenden und Arbeitgebern anzupassen.

Es sollen Antworten auf folgende Fragen gefunden werden: Wie bilden wir genug Akademiker aus, damit die Gesellschaft sich weiterentwickeln und die Wirtschaft wachsen kann? Wie muss sich das deutsche Bildungssystem verbessern, wenn wir international weiterhin auf Augenhöhe mit den Besten agieren wollen? Dadurch soll eine Debatte über eine bessere Bildung in Deutschland durch klar definierte sowie messbare Ziele und Indikatoren auf wissenschaftlicher Basis angestoßen werden. Am 20.11.2017 veröffentlichte der Hochschul-Bildungsreport 2020 eine Halbzeitbilanz (von 2010 – 2015), welche hier vorgestellt werden soll.

Wissenschaftliche Fundiertheit des Hochschul-Bildungs-Reports

Grundlage für den jährlichen Hochschul-Bildungs-Report 2020 ist die Betrachtung und Bewertung von sechs Handlungsfeldern im Bezug auf die Hochschulbildung, nämlich: Chancengerechte Bildung, Beruflich-akademische Bildung, Quartäre Bildung, Internationale Bildung, Lehrer-Bildung und MINT-Bildung. Für jedes Handlungsfeld wurden Ziele formuliert und 71 Indikatoren herausgebildet.

Außerdem werden noch drei Zieldimensionen zum Vergleich herangezogen, nämlich Akademikerbedarf, Diversität und Nachfrageorientierung. Im Jahr 2010 startete die Untersuchung bei 0 Indexpunkten. Wenn alle Indikatoren die gesetzten Ziele erreichen, so müsste der Indexwert 2020 bei 100 liegen, und 2015 bei 50. Diesen Wert verfehlt der Hochschul-Bildungs-Index deutlich. Keines der sechs Handlungsfelder und keine der 3 Zieldimensionen erreicht die Marke von 50 Punkten und die damit gesetzten Ziele, wie in der Grafik ersichtlich ist:

Grafik Übersicht Handlungsfelder mit Indexwert Hochschulbildungsreport

Zentrale Entwicklungen von 2010 – 2015 laut Hochschul-Bildungs-Report

Der Hochschul-Bildungs-Index verfehlt mit 30 Punkten deutlich das gesetzte Ziel von 50 Punkten. Positiv entwickelten sich die Handlungsfelder Internationale Bildung sowie Chancengerechte Bildung, wohingegen Lehrer- und MINT-Bildung Schlusslichter sind.

Die Diversität der Studierendenschaft steigt. Dazu trägt bei, dass mehr Studentinnen technische Fächer belegen, sowie mehr internationale Studierende.

Die Internationalisierung entwickelt sich von allen Handlungsfeldern am positivsten. Das Deutsche Hochschulsystem wird immer attraktiver für ausländische Studierende und Wissenschaftler, die Zahl der ausländischen Studierenden in Deutschland ist auf Rekordhoch. Auch das Personal an den Hochschulen wird internationaler. Es gehen jedoch zu wenig deutsche Studenten ins Ausland.

Die Lehrer und MINT-Bildung ist weiterhin das Schlusslicht: In Deutschland fehlen 95.000 Datenspezialisten sowie 24.000 Lehrer für ein Pflichtfach Informatik. Es gibt immer weniger MINT-Studienanfänger sowie männliche Grundschullehrer, außerdem werden Berufs- und Praxisbezogenheit der Lehrveranstaltungen schlecht beurteilt.

Schwerpunktthema „Chancengerechte Bildung“

Es wird jährlich ein Report mit einem Schwerpunktthema veröffentlicht. Darin überprüft der Stifterverband, ob sich der Hochschulbildungssektor den Zielen der Bildungsinitiative annähert, und gibt dazu Handlungsempfehlungen ab. Für das Jahr 2017/2018 ist das Schwerpunktthema „Chancengerechte Bildung“. Darin wird untersucht, inwieweit im deutschen Hochschulsystem gleiche Bildungschancen bestehen – unabhängig von Herkunft und familiärem Hintergrund.

Logo Chancengerechte Bildung

Die soziale Selektivität des deutschen Bildungssystems ist ausgesprochen hoch. Schüler mit Migrationshintergrund und Kinder aus nichtakademischem Elternhaus schaffen es immer noch viel zu selten an Hochschulen, sind im Studium weniger erfolgreich und werden bei der Stipendienvergabe benachteiligt. Insgesamt verbesserte sich zwar die Chancengerechtigkeit an deutschen Hochschulen, jedoch nur langsam. Folgende Tendenzen lassen sich feststellen:

Bildungsinländer: Positiv fällt vor allem auf, dass immer mehr Bildungsinländer ein Studium beginnen. Als Bildungsinländer werden ausländische Absolventen bezeichnet, die ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben. Deren Zahl stieg auf rund 16.400. Ihr Gesamtanteil an Studienanfänger und Absolventen fällt dennoch gering aus.

Bildungsbeteiligung von Frauen: nimmt konstant zu, diese sind vor allem im Studium überdurchschnittlich erfolgreich, danach sinkt jedoch ihr Anteil in weiteren Bildungs- bzw. Hierarchiestufen. Frauen, die Karriere machen wollen, stehen immer noch vor besonderen Herausforderungen.

Studierende aus bildungsfernen Schichten sind mit Betreuung durch Lehrende zufrieden.

Im Jahr 2020 werden bis zu 40.000 Flüchtlinge an deutschen Hochschulen eingeschrieben sein, wie erstmals von der Stiftung berechnet wurde - vorausgesetzt, dass die entsprechenden Studienplätze und Bedingungen geschaffen werden. Hier findet sich großes Potenzial: jeder fünfte Flüchtling hat einen akademischen Abschluss. Doch die Integrierung im Arbeits- und Bildungsbereich verläuft schleppend.

soziale Selektion an Schule setzt sich an Hochschule fort: Schon in der Schule zeigt sich eine soziale Selektion: nur etwa halb so viele Nicht-Akademiker-Kinder wie Akademiker-Kinder erreichen die Allgemeine Hochschulreife. Diese soziale Selektion verschärft sich an der Hochschule. Vom Bachelor- zum Masterabschluss bis zur Promotion nimmt die Anzahl von Nicht-Akademiker-Kindern im Vergleich zu Akademiker-Kindern unverhältnismäßig ab.

Soziale Selektion von Nicht-Akademiker-Kindern

Welchen Einfluss haben familiäre Herkunft und Bildung der Eltern auf die Bildungschancen eines jungen Menschen im deutschen Hochschulsystem? Leider noch immer einen großen Einfluss, wie die jüngsten Untersuchungen des Hochschul-Bildungs-Reports 2020 zeigen. Im deutschen Bildungs- und Hochschulsystem herrscht eine starke soziale Selektivität vor. An allen Stufen des Bildungssystems sind für Nicht-Akademiker-Kinder die Beteiligungsquoten an Bildung niedriger und an allen Schwellen sind ihre Abgangsquoten höher. In folgender Grafik werden die Bildungschancen von 100 Nicht-Akademiker-Kinder und 100 Akademiker-Kinder verglichen:

Grafik Vergleich Akademiker und Nicht-Akademiker-Kinder

Soziale Selektion setzt schon in der Schule ein: Eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben nur etwa halb so viele Nicht-Akademiker Kinder wie Akademiker-Kinder. Doch die soziale Selektion steigert sich mit den akademischen Schwellen: während von 100 Nicht-Akademikern 21 ein Hochschulstudium beginnen, sind es bei 100 Akademiker-Kindern 74 (Verhältnis 1:3,5). Beim Bachelorabschluss bleibt das Verhältnis in etwa gleich (1:4), wohingegen die soziale Selektion sich zum Master noch einmal verschärft: hier beginnen von 100 Nicht-Akademiker-Kindern 8 ein Masterstudium, und von 100 Akademiker-Kindern immerhin 45. Hier ist das Verhältnis 1:6, und bei der Promotion verläuft sich das Verhältnis sogar auf 1:10. Von 100 Nicht-Akademiker-Kindern promoviert also durchschnittlich einer, während bei 100 Nicht-Akademiker-Kindern circa 10 einen Doktortitel erwerben.

Eine neue Erkenntnis ist, dass die soziale Selektion vor allem zur Schwelle ins Masterstudium stattfindet. Dies ist sowohl auf geringere Übergangsquoten vom Bachelor in den Master als auch auf geringere Erfolgsquoten von Nicht-Akademiker-Kindern im Masterstudium zurückführen. Unter den Abbrechern sind mit insgesamt über der Hälfte überproportional viele Nicht-Akademiker-Kinder. Außerdem absolvieren insbesondere Studierende mit einer Berufsausbildung vor dem Studium sowie im Teilzeitstudium deutlich seltener ein Masterstudium. Die soziale Selektion beim Übergang in den Master beruht allerdings nicht auf Leistungsunterschieden. Vielmehr spielen oft finanzielle Gründe mit hinein: viele Nicht-Akademiker-Kinder stehen unter Druck, ihr Studium so schnell wie möglich zu beenden, um sich dann selbst finanzieren zu können. Ein Masterstudium kostet Zeit und Geld, während man nach dem Bachelorstudium auch arbeiten kann. Aber auch Sozialisationsprozesse spielen beim individuellen Berufsweg eine Rolle: gesellschaftlich geprägte Selbstbilder und Selbstwahrnehmung können dem Streben nach einer höheren Bildung entgegenstehen.

Empfehlungen des Hochschul-Bildungs-Reports, um die Erfolgschancen von Nicht-Akademikern zu verbessern, sind zum einen das Ermöglichen eines Studiums mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, das Anbieten von Teilzeitstudien oder berufsbegleitenden Studiengängen. Zum anderen sollte das BAföG individuell je nach Studienort und persönlicher Situation angepasst werden.

Das Ziel ist es nicht, dass alle, die hierzu berechtigt sind, studieren oder promovieren sollten – die Chancen dafür sollten aber von der Herkunft unabhängig sein.

Empfehlungen des Hochschul-Bildungs-Reports

Insgesamt betrachtet herrscht an deutschen Hochschulen also in vielen Bereichen Verbesserungsbedarf. Auf Grund der Ergebnisse des Halbjahresberichtes des Hochschul-Bildungs-Reports 2020 wurden folgende Empfehlungen abgegeben, welche bis 2020 verstärkt verfolgt werden sollten:

1. Mehr Informatiklehrer ausbilden

2. Datenanalysekompetenzen in allen Disziplinen sichern: Data Science an Hochschulen ausbauen

3. mehr Studierende für einen Auslandsaufenthalt gewinnen

4. Ausweitung und Flexibilisierung des Angebotes an Quartärer Bildung fördern

5. Praxiswissen und Berufsfeldorientierung bei Studierenden stärken

6. Chancengerechtigkeit durch lebensnahes BAföG und Weiterführung des Hochschulpakts sichern

7. Bildungspotenzial von Flüchtlingen nutzen

8. Frauen schon an der Hochschule auf eine spätere Karriere vorbereiten

Zusammengefasst zeigt der Hochschul-Bildungs-Report 2020, dass vor allem im Bereich Lehrer-Bildung, MINT-Bildung und Quartär-Bildung für die deutschen Hochschulen dringender Handlungsbedarf herrscht. Aber auch Chancengerechtigkeit (insbesondere für Nicht-Akademiker-Kinder und Migranten), Bildungspotential von Flüchtlingen und Frauen-Bildung nach dem Studium hat Verbesserungsbedarf. Positiv entwickelte sich dagegen die Internationalisierung, immer mehr ausländische Studierende kommen an die deutschen Hochschulen, und immer mehr Bildungsinländer nehmen ein Studium auf. Doch das Halbwertziel des Hochschul-Bildungs-Reports 2020 wurde verfehlt.

Autorin: Barbara Huber

Vielen Dank an den Hochschul Bildungs Report für die Bilder (©www.hochschulbildungsreport.de) & an mckinsey.de für das Titelbild (©www.mckinsey.de/hochschul-bildungs-report-auslaendische-studierende-deutschland-halten).

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