Angeblich ist die Durchlässigkeit im deutschen Bildungssystem so gut wie noch nie. Selbst wer einen Hauptschul- oder Realschulabschluss vorzuweisen hat, hat über Umwege die Chance auf ein Hochschulstudium. Theoretisch stimmt das auch. Trotzdem sind wir von Chancengleichheit im Bildungssystem noch weit entfernt. Gerade Jugendliche, die nicht aus Familien mit akademischem Hintergrund kommen, schaffen den Sprung an die Uni oft nicht. Oder scheuen ihn, selbst wenn sie Abitur machen. Die Gründe dafür sind überwiegend struktureller Natur, doch es gibt einige Lichtblicke. Wir erklären, wie das Studium als Arbeiterkind gut gelingen kann.
Aufstieg durch Bildung – bei Arbeiterkindern leider viel zu selten
Arbeiterkinder sind an Universitäten deutlich unterrepräsentiert. Ein näherer Blick auf Studienergebnisse aus den letzten Jahren macht deutlich, wie gravierend die Unterschiede trotz positiver Entwicklungen immer noch sind.
Die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) aus dem Jahr 2016 hat ergeben, dass nur knapp jede(r) zweite Studierende an deutschen Universitäten aus einem Nichtakademikerhaushalt stammt. Auch 2020, so der Hochschulbildungsreport, liegt der Anteil der Arbeiterkinder an Hochschulen bei 47%. Das sind 3 % weniger als im Jahr 2012, während aber die Gesamtzahl der Studierenden in Deutschland in diesem Zeitraum um fast 700.000 gestiegen ist. Besonders deutlich zeigt sich dieses Missverhältnis daran, dass nur 27 % der Kinder aus Arbeiterfamilien ein Studium beginnen, während es bei den Akademikerkindern 79 % sind.
Wie kann das sein? Wird Kindern aus dem akademischen Umfeld das Zeug zum Studieren einfach mit in die Wiege gelegt? So einfach ist die Sache zum Glück nicht. Denn der Hochschulbildungsreport zeigt auch, dass die Bildungsherkunft keinen Einfluss darauf hat, welche Leistungen man an der Hochschule erbringt. Trotzdem wird Arbeiterkindern der Weg an die Hochschule strukturell erschwert: Die Empfehlung für den Besuch einer weiterführenden Schule nach der Grundschule hängt nachweislich stark von der sozialen Herkunft ab, unabhängig von den schulischen Leistungen. Kein Wunder, dass viele Arbeiterkinder hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben.
Die gute Nachricht ist, dass die Übergangsquoten an Grund- und Hochschulen sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessern. Fraglich ist allerdings, ob das ausreicht, um die strukturelle Benachteiligung von bildungsschwächeren Familien zu beenden. Die Covid-19-Pandemie könnte ein herber Rückschlag bei dieser Entwicklung sein, denn „Nichtakademikerkinder sind stärker von unzureichender digitaler Infrastruktur, reduzierten Lernzeiten und zunehmenden Finanzierungsschwierigkeiten betroffen“, wie der Hochschulbildungsreport angibt.
Studieren schwer gemacht: Vor diesen Hürden stehen Arbeiterkinder
Doch warum ist der Zugang zu Bildung so maßgeblich von der sozialen Herkunft abhängig? Wir haben drei Hürden identifiziert, die das Studieren zur Herausforderung machen können.
Das Studium als Schritt ins Ungewisse
Na klar, der oder die Erste in der Familie zu sein, die an die Hochschule geht, kann stolz machen und erfüllend sein. Doch es bringt auch viele Unwägbarkeiten mit sich, denn das familiäre und freundschaftliche Umfeld von Arbeiterkindern ist selten in der Lage, mit Wissen und Erfahrung eine Stütze zu sein.
Anders als Akademikerkinder müssen Arbeiterkinder sich erst mit dem Konzept und System der Hochschulen vertraut machen. So wissen Viele anfangs nicht, wie die Immatrikulation funktioniert oder was Module und Leistungspunkte sind. Auch an die Wissenschaftssprache an der Hochschule muss man sich erst einmal gewöhnen. Das erfordert viel Geduld und Energie, kann aber auch beängstigend sein und unter Umständen von der Entscheidung für ein Studium abhalten. Ohne Rollenvorbilder kann es schwieriger sein, sich ein Studium zuzutrauen. Doch dabei sollte nicht vergessen werden, dass Fremdheit und Orientierungslosigkeit am Anfang völlig normal sind und sich mit der Zeit legen.
Hinzu kommen eventuell auch Vorurteile und Sorgen seitens der Angehörigen, ganz nach dem Motto „Geh doch lieber vernünftig arbeiten“, „Was fängst du denn mit so einem Studium später an“ oder „Beim Studieren verdienst du doch gar kein Geld“.
Finanzierung eines Studiums als Arbeiterkind: woher nehmen und nicht stehlen?
Und da wären wir auch schon beim zweiten Thema: Ein Studium bezahlt sich nicht von alleine, und während rund zwei Drittel der Studierenden aus Akademikerfamilien von ihren Eltern finanziert werden, ist das nur bei 15 bis 20 % der Nichtakademierkinder der Fall. Hinzu kommt oft auch einfach fehlende Information: Eltern von Arbeiterkindern schätzen häufig die Kosten eines Studiums zu hoch, seinen Nutzen aber zu niedrig ein.
Tatsächlich ist die Finanzierung ein Punkt, der sorgsam geplant sein will. BAföG kann in einigen Fällen die Antwort auf Geldsorgen sein. Jedoch sinken die Zahlen derjenigen, die BAföG beziehen, seit 2012 kontinuierlich. Grund dafür ist unter anderem die fehlende Anpassung an steigende Lebenshaltungskosten, sodass viele Studierende aufgrund der Löhne der Eltern aus dem Raster fallen, obwohl diese nicht genug Geld haben, um ein Studium zu bezahlen. Eine BAföG-Reform ist zwar geplant, doch ob diese schon zum Wintersemester 2022 oder erst später in Kraft tritt, ist noch unklar.
Die Beantragung von BAföG ist darüber hinaus ziemlich kompliziert und dauert lang. Wer das staatliche Fördergeld nicht bekommt und auf einen Nebenjob bauen muss, hat wiederum weniger Zeit zum Studieren.
TIPP: Wenn dein BAföG Antrag abgelehnt wird, solltest du Wohngeld beantragen.
An der Uni geht’s erst richtig los
Wer es trotz dieser Hindernisse bis an die Uni schafft, muss dann oft feststellen, dass es damit noch nicht vorbei ist. Im Gegenteil: An der Hochschule warten viele weitere Herausforderungen, die für Arbeiterkinder oft größer sind als für Akademikerkinder.
Wie bereits erwähnt, kann die Umgebung und insbesondere die Wissenschaftssprache an der Hochschule für Arbeiterkinder sehr ungewohnt sein. Das liegt daran, dass Nichtakademikerkinder häufig in der Kindheit weniger Unterstützung beim Lernen bekommen und auch weniger mit Büchern, Museen etc. in Kontakt kommen. Sie haben deswegen häufig Kompetenznachteile und oft auch Lernlücken, die zu Beginn des Studiums erst aufgearbeitet werden müssen. Vielleicht braucht eine Studentin mit nichtakademischem Hintergrund dann mehr Zeit, um Lektüren zu bearbeiten oder Aufgaben zu verstehen. Doch wie gesagt: Sobald diese anfängliche Hürde überwunden ist, zeigen sich in Bezug auf die Bildungsherkunft keine Leistungsunterschiede.
Mit Unterstützung ins Studium – auch als Arbeiterkind
Also: Es gibt einige Dinge, die das Studieren als Nichtakademikerkind und vor allem überhaupt die Entscheidung für ein Studium erschweren können. Doch es gibt auch viele Wege, sich Unterstützung zu suchen, denn als Arbeiterkind an der Hochschule bist du nicht alleine! Das Wichtigste ist natürlich, dass ein Hochschulstudium nicht für alle der beste Weg in den Beruf ist. Studieren ist absolut kein Muss, und abhängig von deinen Talenten und Interessen kann es auch gut sein, dass eine Ausbildung viel besser zu dir passt. Wenn du dich aber für ein Studium als Arbeiterkind entscheidest, erfährst du hier, wie das am besten klappen kann und wie Bildungsgerechtigkeit aktuell gefördert wird.
Förderungsmöglichkeiten und Stipendien für Arbeiterkinder
Einige Institutionen und kluge Köpfe haben die Probleme längst erkannt und setzen sich dafür ein, der theoretischen Durchlässigkeit im Bildungssystem zu mehr Praxis zu verhelfen. Die gemeinnützige Initiative Arbeiterkind ermutigt junge Leute zum Studium und unterstützt sie mit über 5.000 Mentoren deutschlandweit ganz praktisch auf dem Weg zur Studienwahl. Im Onlineportal findet man eine Menge Tipps und Infos rund um das Studium, von organisatorischen Hilfestellungen bis zu Finanzierungsmöglichkeiten wie gängigen Stipendien.
Zu diesen Stipendien zählt beispielsweise das Deutschlandstipendium, mit dem leistungsstarke und engagierte Studierende unabhängig vom Einkommen der Eltern gefördert werden können. Auch für Studienanfänger mit Berufserfahrung gibt es Unterstützung: Das Aufstiegsstipendium ist eine finanzielle Hilfe für Menschen, die sich bereits im Beruf profilieren konnten und nun ein Studium anstreben. Für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund ist die Vorbilder-Akademie gedacht, die Raum für das Ausloten der eigenen Talente und Neigungen im Austausch mit Vorbildern bietet, die ähnliche Schwierigkeiten zu überwinden hatten.
Studienkompass ist eine weitere Initiative, die sich für mehr Bildungsgerechtigkeit engagiert. Das dreijährige Studienkompass-Förderungsprogramm bringt Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Bevölkerungsschichten an die Hochschule. Allein 2013 nahmen über 1.600 Schüler am Programm teil. Auch Eltern bekommen Hilfestellungen, um ihre Kinder tatkräftig zu unterstützen.
Wege in eine gerechtere Zukunft
Der Hochschulbildungsreport schildert anschaulich, was noch passieren muss, um zukünftig das Studieren für Arbeiterkinder stärker zu erleichtern. So wird vorgeschlagen, Informationsdefizite zu beseitigen, indem Hochschulen aktiver an Schulen herantreten, dort werben, informieren und Talente ausfindig machen. Das wird mit einigen Talent-Scouting-Programmen schon heute erfolgreich gemacht und kann vor allem in bildungsfernen Umgebungen große Wirkung haben. Außerdem könnten laut dem Report mentale und soziale Hürden abgebaut werden, indem man Tandemprogramme für Studierende des ersten Semesters etabliert. Auch Mentorinnen und Mentoren aus der Wirtschaft könnten hier zum Zuge kommen.
Außerdem wird vorgeschlagen, die Finanzierung durch eine Reform des BAföG zu erleichtern. Diese Reform ist laut Koalitionsvertrag von 2021 in Planung, doch ob sie noch 2022 in Kraft treten wird, ist unklar. Darüber hinaus könnten auch vermehrte Stipendienprogramme, die speziell auf Nichtakademikerkinder ausgerichtet sind, eine Option sein.
Ein weiterer Vorschlag sind neue, unkonventionellere Vorgehensweisen bei der Zulassung an die Hochschulen. Es wäre möglich, hierbei vermehrt auf Losverfahren zu setzen oder Nebenjobs zu berücksichtigen, um auch Jugendlichen mit schlechteren Schulnoten die Aufnahme ihres Wunschstudiums zu ermöglichen.
Schluss mit Vorurteilen: Warum du als Arbeiterkind trotzdem studieren kannst
Wenn du als Arbeiterkind mit dem Gedanken spielst, den Schritt ins Studium zu wagen, solltest du dich von Vorurteilen und Hindernissen nicht kleinkriegen lassen. Es mag viel Einsatz und Geduld fordern, doch es ist auf jeden Fall möglich und lohnend, ohne akademischen Hintergrund zu studieren.
Deine Eltern und Freunde sind unsicher, ob das Studium wirklich etwas bringt, und schlagen dir vor, doch lieber was „Richtiges“ oder „Handfestes“ zu machen?
Diese Sorgen kannst du getrost in den Wind schlagen, denn in den meisten Fällen ist das Gehalt nach einem Studium höher als ohne Studium. Und das Risiko für Arbeitslosigkeit ist mit einem Hochschulabschluss sogar nur halb so groß wie ohne. Viele Studiengänge bereiten dich anders als Berufsausbildungen nicht direkt auf einen speziellen Beruf vor, sondern statten dich mit Kompetenzen aus, die du nach dem Studium vielfältig einsetzen kannst. Über Praktika und Nebenjobs kannst du auch schon während des Studiums ausprobieren, was dir gefällt.
Du bist nicht sicher, ob du dir ein Studium wirklich zutrauen kannst?
Sei ruhig selbstbewusst! Mentale Barrieren kannst du überwinden, indem du dir Gleichgesinnte suchst. Vielleicht gibt es an deiner Hochschule Tandemprogramme, oder du findest in der Erstiwoche andere Studienanfänger und -anfängerinnen, mit denen du gemeinsam das Hochschulleben kennenlernen kannst. Außerdem kannst du aktiv deine Familie auf deine Reise mitnehmen, indem ihr zum Beispiel gemeinsam an einem Tag der offenen Tür deine zukünftige Hochschule besucht.
Studieren ist viel zu teuer?
Zum einen gibt es glücklicherweise mehrere Finanzierungsmöglichkeiten wie BAföG und Stipendien. Bei Problemen oder Fragen kannst du dich beim Infoangebot des Bundes orientieren oder den Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AStA) oder die Sozialberatung an deiner Hochschule fragen. Auch ein Nebenjob kommt natürlich infrage, dieser geht allerdings zulasten deiner Lern- und Freizeit.
Zum anderen musst du nicht pauschal Angst vor Schulden haben. Natürlich will die Finanzierung deines Studiums sorgfältig geplant sein und Schulden, egal ob durch BAföG oder über einen Studentenkredit, solltest du nicht leichtfertig aufnehmen. Doch gleichzeitig ist dein Studium eben eine Investition in deine Zukunft, bei der Schulden normal sind. Nach dem Studieren wirst du im Gegenzug bessere Chancen auf einen gut bezahlten Job haben, mit dem du deine Schulden Stück für Stück tilgen kannst.
FAQ
Hier fassen wir noch einmal die wichtigsten Fragen und Antworten zusammen.
Kann ich auch als Arbeiterkind studieren?
Auf jeden Fall! Zwar gibt es einige Herausforderungen, denen du dich stellten musst, doch mit Motivation und Ehrgeiz kannst du das schaffen. Deine Herkunft hat keinen Einfluss darauf, wie gut du für ein Studium geeignet bist und welche Leistungen du an der Hochschule erbringen kannst.
Wo finde ich Unterstützung?
Besonders der Einstieg ins Studium kann schwer sein, doch Hilfe kannst du dir an vielen Orten holen. Die Initiativen Arbeiterkind und Studienkompass beispielsweise stehen dir mit Rat und Tat online und vor Ort zur Seite. Auch an deiner Hochschule kannst du dich an den AStA oder die Sozialberatung wenden, vielleicht gibt es auch Mentoren- oder Tandemprogramme.
Ist ein Studium wirklich eine gute und sichere Wahl?
Mit dem Studium erlangst du Qualifikationen, die dich nicht auf einen speziellen Beruf vorbereiten, sondern den Weg in ein selbstbestimmteres Arbeitsleben ebnen. So ist zwar häufig am Anfang noch nicht klar, wo du später arbeiten wirst, doch mit einem Hochschulabschluss hast du bessere Chancen auf ein hohes Gehalt und ein geringeres Risiko für Arbeitslosigkeit. Wenn du also motiviert und interessiert bist, spricht nichts gegen das Studieren.
Wie kann ich mein Studium finanzieren?
Wenn deine Eltern dir nicht finanziell unter die Arme greifen können, kannst du es mit einem BAföG-Antrag versuchen. Wird der Antrag abgelehnt, gibt es auch noch Wohngeld, dass du beantragen kannst. Unabhängig davon kannst du dich für Stipendien bewerben, die häufig auch leistungsunabhängig vergeben werden. Zur Not gibt es außerdem zahlreiche Studienkredite, oder du kannst dir einen Nebenjob suchen.
Fazit
Von Bildungsgerechtigkeit kann in Deutschland leider bislang kaum die Rede sein. Arbeiterkinder sind, wenn sie studieren wollen, mit vielen zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert. Trotzdem gibt es Aussicht auf Besserung, und dank hilfreicher Initiativen, der geplanten BAföG-Reform und vieler Stipendien wird es immer leichter, auch als Arbeiterkind zu studieren. Von Vorurteilen solltest du dich also nicht aufhalten lassen!
Bildquellen: Vielen Dank an George Dolgikh, Buro Millennial @pexels.com und nicolayhg, Chronomarchie, vidhyarthidarpan, geralt @pixabay.com!
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